31.8.05

Wahlkampffieber

Worum geht's denn wirklich?

Nun also, es ist wieder einmal soweit. Das, worauf wir im Allgemeinen vier lange Jahre hinfiebern müssen, wurde uns von Onkel Gerd ein Jahr früher serviert. Wir dürfen wieder wählen und zwar die wirklich wichtigen Leute.

Das ist fein. Es ist die Zeit der lustigen Werbespots vor der Tagesschau, der interessanten Postwurfsendungen, der kritischen Reflexion, des konstruktiven Streitgesprächs. Zu der wohltuenden Reizüberflutung gesellt sich landauf, landab die allgegenwärtige Begleiterscheinung eines jeden Phänomens, eines jeden Prozesses, jeder Diskussion, eigentlich jeden Gedankens, die Begleiterscheinung der deutschen Angst vor allem und jedem und überhaupt immer.

Rot-rot-grün, Kirchhoff, Schulden, Renten, Arbeitslosigkeit, Krieg, Verbrechen, Benzinpreise. Wahlkampf ist die Zeit, seiner Angst freien Lauf zu lassen, sie auszukosten, in ihr zu baden, mit ihr zu protzen, sie aufzupolieren, sie von allen Seiten zu betrachten, um dann sein Kreuz an der falschen Stelle zu setzen.


Aber die Stichworte Wahlkampf und Angst erinnern mich an ein wirklich nettes Produkt, das wir in diesem Frühjahr in Italien erstehen konnten.

Genauer gesagt handelt es sich um ein Werbemittel, das den schwierigen Weg geht, ein weithin missverstandenes Produkt, eine schwer erklärbare Dienstleitung dem gemeinen Bürger und der gemeinen Bürgerin auf unaufdringliche Weise näher zu bringen. Das der Versuchung widersteht, die ausgetretenen Pfade der zeitgenössischen Mediokratie zu betreten, dass seine Botschaft sehr verschlüsselt und gleichzeitig sehr sympathisch vermittelt. Hier wird deutlich, dass man sich nicht dem Diktat der Wort- und Meinungsmacht einer PR-Agentur unterwirft, hier konnte man mit der Kraft des Idealismus aus der Not der beschränkten finanziellen Mittel die Tugend der Überzeugungskraft der Simplizität machen.





30.8.05

klassix with a k

von der not der hochkultur
gestern im plattenladen hatte ich eine komische begegnung mit dieser cd:



sie stammt von der deutschen grammophon und enthält remixe von klassik-smashern durch einen helden meiner jugend: matthias arfmann. irgendwer bei der dg fand das wohl ne irre idee. wahrscheinlich wegen junger zielgruppe und so. und damit die jungen dinger dann auch gleich aufs richtige gleis kommen und sich nicht mit hinterbänklern abgeben, sinds natürlich allesamt aufnahmen der berliner philharmoniker unter der leitung von, na? dem herbert. genau. das ganze erinnert mich spontan ein wenig an den versuch der fdp durch gerade eben volljährige kandidatinnenattrappen einen draht zur jugend zu demonstrieren. [wir berichteten]

nachdem ich die cd ein paar minuten angestarrt hatte, machte mir der freundliche fachverkäufer den vorschlag, doch mal reinzuhören. hab ich dann gemacht.

ich bin alles andere als ein klassik-kenner, aber die nummern kannte selbst ich fast alle. dvorak, mussorgsky, schumann, smetana so zeugs. viel schweres orchester mit tüchtig getöse und dann irgendwann ein beat drunter, was die brachialität der stücke noch verstärkte. hatte was von edel-industrial. ausser bei den dub versionen. die fand ich eher komisch.

naja. vielleicht fehlt mir die ehrfurcht vor der künstlerischen integrität eines herrn arfmann, der uns ja immerhin in den knapp zwanzig jahren zwischen zwei wellen von neo-deutsch-spacken gezeigt hat, wie großartig deutsche musik sein kann. aber spätestens, wenn man dann auf kulturbeflissenen webseiten [nachlesen] darf, dass es sich ja nicht um gewöhnliche remixe, sondern um umdeutungen und rekompositionen handelt ist der bonus schon aufgebraucht. sowas denkt sich keiner aus. sowas steht im pressetext. igitt.

teil zwei soll übrigens jimi tenor remixen. aber der zieht ja jetzt auch schon als alleinunterhalter mit der orgel durch die lande und hats vielleicht nötig. aber der arfmann? falls ihn jemand trifft, dann fragt ihn doch bitte, ob er sich eigentlich missverstanden fühlt, wenn er mit sowas [hier] endet.

27.8.05

Bekloppte Sprache, Teil 1377

19.8.05

hauptsache ne fahne

lagebericht aus einer christlich besetzten stadt.

es traf uns ein wenig unvorbereitet. leise hatten wir uns gefreut, dass die kölner in diesem jahr neben dem obligatorischen rheinhochwasser auch noch von einer schlabbrig lauen welle blutleerer pilger überschwappt würde. diesig, trübe, langweilig, abgestanden. toll.

aber es kam anders. ohne viel aufhebens darum zu machen halste sich auch die domlose allem weltlichen zugewandte sympathische heidengemeinde düsseldorf jede menge christentouristen auf. und nun sitzen sie hier auf irgendwelchen plätzen rum und sind im wesentlichen da. was sie hier tun ist für den aussenstehenden schwer zu erkennen. aber es scheint bedeutend zu sein.

sonst würden sie ja nicht mit wasser und kostenlosen mahlzeiten versorgt werden. es würden keine mittelwichtigen straßenverbindungen gekappt werden um dort zeltlager aufzubauen, es würde nicht in kauf genommen werden, das die einheimische bevölkerung keine öffentlichen verkehrsmittel mehr benutzen kann, weil diese an den normalen haltestellen wegen überfüllung garnicht mehr halten. sowas geht nur mit wichtigem auftrag. aber mit welchem?

vielleicht "singen ohne vorher zu saufen"?



- bemerkenswert, aber nicht wirklich wichtig. das ergebnis ist ja das gleiche wie bei "singen mit vorher zu saufen". es fehlt der nutzen für die weltgemeinschaft. ausserdem kann mir keiner erzählen, dass der hier wasser in der flasche hat:



auch die meisten anderen beobachtbaren verhaltensweisen lassen den gemeinen rheinländer etwas ratlos zurück. allen voran das inbrünstige herumschleppen von nationalflaggen. die sache mit der grenzenlosen glaubensgemeinschaft muss in jedem fall ein missverständnis gewesen sein. manch einer erinnert sich dunkel kirchentage und ostermärsche, in denen es um weltfrieden und solchen kram ging. da gabs "pace" flaggen und friedenstauben. aber mit sowas scheinen die pilger nicht so viel an der fahne zu haben. ist ja auch von gestern, irgendwie.



[der moderne christ richtet den blick visionär nach vorn.]

heute sagt man besser erstmal wo man wech kommt. sonst gibts nachher noch so blöde verwicklungen. und da sich niemand sicher sein kann, dass seine fahne auch wirklich von allen erkannt wird, brüllt man es jedem passanten sicherheitshalber zusätzlich entgegen. deshalb wissen die meisten von uns jetzt wenigstens endlich wie die fahne von portugal eigentlich genau aussieht.


[nämlich so]



[die hier kannten wir ja schon. trotzdem danke.]


[aber auch oft unterschätzte kleinstvölker in randgebieten erfahren endlich die verdiente weltweite akzeptanz.]

dass man bei dieser völkerverständigenden tätigkeit auf radwege, ampeln und sonstige extase-hemmnisse keine rücksicht mehr nehmen kann ist nachvollziehbar. darauf reiten ja auch schon genug andere rum. schade nur, dass arglose düsseldorfer schüler in dieser stadt für jede bei rot überquerte fussgängerampel fünf euro zahlen dürfen. aber die singen natürlich auch nicht so fröhlich dabei. und spielen auch nicht vor dem rathaus ringelpietz mit fast ohne anfassen:


[den rheinischen frohnaturen im vordergrund fehlt dabei aber eindeutig der sex-appeal.]

vielleicht sollten wir die alle nochmal nächstes jahr im februar einladen. dann sind wir drauf eingestellt und zeigen denen mal was ein anständige interkulturelle orgie ist. mit unserer radikalen umdeutung des fahnenbegriffs werden vielleicht nicht alle klarkommen, aber na gut.

dabei sollten sich unsere ordnungshüter mal nicht vertun. aus der nähe betrachtet haben die beseelten schäfchen was geradezu subversiv heterogenes. nicht jeder hat etwa die vorgeschrieben sandalen an.:


[die militarisierung der christenheit: deutschlands führender kämpferin gegen den islamistischen terror gefällts schon.]

und nur manche schleppen eine verstimmte wandergitarre mit sich rum. und das der spanische smarty mit carhartt shirt und sonnenbrille sich nicht gleich an die minirock-barbie aus kalifornien ranschmeisst liegt ausserhalb meiner vorstellungskraft. aber die ist beschränkt und vielleicht heiraten sie ja vorher auch noch.

im sinne der oberen gleichmäßig erleuchtete schafsköpfe haben sich die meisten hier jedenfalls anders vorgestellt. und auch unsere pfadfinderfreunde aus der pfalz haben nicht sofort eine erklärung für alles, was sie sehen.



[nach dem dritten bier wird das bei denen aber meistens besser.]



was die durchschnittliche uniformierte pilger-trine so antreibt, entzieht sich leider vollständig meiner kenntnis. aber genau das rauszufinden könnte am ende ja der reiz der ganzen veranstaltung sein. neben dem auswendiglernen wenigstens der wichtigsten staatsflaggen. und der antwort auf die frage:


[was für eine fahne ist das?]

ich gebs ja zu, im ersten moment dachte ich: "jetzt isses also passiert. die russen stehen am jan wellem. und eingebrockt hats uns natürlich der blöde bayer." aber dann fiel mir auf, dass die russische flagge irgendwie anders rum ging. als mir der schreck aus den gliedern wich, waren die jungs schon weg. für einen sachdienlichen hinweis wär ich trotzdem dankbar. denn diese woche sind wir in ermangelung einer ausweichgelegenheit ja alle weltjugend-dingsis. so wie die, die auf dem burgplatz zur uneuphorisiert völlig unverträglichen sex bomb darbietung einer viertklassiken lokalen coverband eine fahnenpolonaise inszenieren, oder wie die, bei denen die explosive mischung aus englischkenntnissen und authoritätsglauben dann doch zu einem gewissen inkompatibilitätsgefühl führen. aber schon die herren kardinäle mussten ja einsehen, das man nicht immer im griff hat, wer so alles kommt, wenn man ruft. da müssen die jetzt durch. uns hat ja schliesslich auch keiner gefragt. dabei haben wir noch nicht mal gerufen.

und vielleicht macht der papst, wenn er das alles hört, die katholische kirche ja bald zu einem exklusivclub für gesinnungsgeprüfte senioren. dann sag ich auch nix mehr zu den kosten für das pilgerwasser. war ja dann für einen guten zweck.
"...ond i woiss i kâ ned senga / baby baby I feel so bad / weil en Schwôb koin rächd'r Neger isch..." (Schwoißfuaß, 1981)

Für alle, die heute Bluestexte schreiben wollen und nicht genau wissen, wie: How to write and sing the blues. Wer ausserdem wissen will, wie man diese komischen Buchstaben im Liedzitat ausspricht, schaue bitte (hier) nach.

18.8.05

Blindtext

"Ich bin nur ein kleiner Blindtext. Wenn ich einmal gross bin, möchte ich ein Roman werden. Aber im Augenblick lohnt es sich noch gar nicht, mich zu lesen. Denn: Ich bin nur ein kleiner Blindtext. Wenn ich einmal [...]"

Zu einer meiner Lieblingsbeschäftigungen im Internet gehört seit Jahren, mir schlechte Webseiten anzuschauen (nicht, dass meine eigenen immer so viel besser gewesen wären).

Neben wirklich grauenhaften Designs sind es meist die doch eher sehr speziellen Interessen, die es mir angetan haben. Zusammen mit den absurden Vereinen, den bizarren Hobbies und den gruseligen Familienfotos.

Sofern eine gewisse Ernsthaftigkeit aus den dort versammelten Inhalten blitzt, kann ich auch mit schlechten Designs leben. Gerne lasse ich mich auf den Webseiten des Angelvereins Dinklage e.V. (hier, link über "Die Endgültige Müllseite", hier) mit einem etwas unscharfen Foto vom Fischerprüfungslehrgang im Kolpinghaus erfreuen oder sehe mir das Ergebnis des Wettpflügens der Drehpflüge am 7. August 2005 in Gaspoltshofen an (hier).

Aber mittlerweile ist mein Bedarf an blinkenden und sich bewegenden Dingen im Internet doch etwas abgeklungen. Stattdessen interessiert mich mehr und mehr, welche sinnfreien Seiten eigentlich mit Absicht als solche im Internet stehen.

Wie mir struppige Grafikdesigner schon vorgeführt haben, machen sie nämlich ihre Testlayouts grundsätzlich mit Blindtext. Das ist Schmucktext, der einfach nur illustrieren soll, wie ein Layout mit Text aussieht und der ungefähr die Buchstabenverteilung eines regulären Textes hat. Und so gebe ich in die Suchmaschine meines Vertrauens einfach "Lorem ipsum dolor sit amur" ein, oder "Ut wisis enim ad minim veniam" und schon habe ich eine Reihe von Links auf dem Bildschirm, die zu Beispielseiten und Testseiten führen, mit denen Layouts getestet, Navigationskonzepte konzeptioniert und Grafikelemente entwickelt werden.

Erstaunlicherweise führen sehr viele dieser Links zu PDF-Dokumenten. Hmmm.
Ehen zufällig stösst man dann auf Dinge wie die folgenden: Die Online-Enzyklopädie Wikipedia hat mehr zum Thema "Blindtexte" versammelt, als man jemals wissen wollte (hier). Für Leute wie mich, die eine irrsinnige Vorliebe für nutzloses Wissen haben, ein absolutes Must.
Und: es gibt mittlerweile zahlreiche Blindtext-Generatoren im Internet. Einige erzeugen neben dem traditionellen Unsinnslatein auch Texte in Esperanto, Tokipona oder Volapük (hier). Auf Klingon, Neusprech und Moselromanisch werden wir hingegen wohl vergeblich warten. Hoffe ich zumindest.

10.8.05

Nachschlag

Sexuelle Belästigung

Hat mich auch erst mein Schatz drauf gebracht: bei diesem Motiv aus der Kampagne weiss man auf den ersten Blick nicht so genau, was eigentlich dargestellt ist. Erst der Text gibt Aufschlus: "Biegt sich, wenn fertig!"
Ach so. Klar. Kenn' ich.

8.8.05

Bekloppte Sprache, Teil 1289

Oder: Wie ich einmal ganz doll lachen musste


In Finnland gibt es einen Hersteller von Mobiltelefonen (ich vergess' den Namen immer). Als ich neulich nach Hause kam, sah ich an einer Plakatwand eine Werbung kleben. Sie zeigte einfach ein paar Striche. Sah sehr sympathisch aus. Vom Stil her etwa so:

"Hmmm", dachte ich. "Sieht ja am End' mal irgendwie sympathisch aus. Wusste gar nicht, dass die jetzt solche Werbung machen.
Endlich mal nicht eine dieser komischen Shiny-happy-people Model-Werbungen, bei denen die Leute sonst immer alle "Fick' mich!" auf der Stirn stehen haben."

Und dann hab ich den finnischen Slogan gesehen.