19.1.06

Väterchen Frost...


... endlich Winter?

Dienstag habe ich mich noch beschwert, weil es auch hier in Finnland das aus Deutschland so bekannte 2-Grad-und-grauer-Matschhimmel-Wetter hatte. Nach dem Winter habe ich gerufen und bin wohl erhört worden. Gestern morgen waren es dann schon -9 Grad und heute morgen, hurra, hurra, -20 Grad. So hatte ich das aber nicht gemeint.

Ich wollte ein Schnee, Sonne, keinen Wind und geschmeidige -5 Grad. Jetzt haben wir -20 Grad, ich kann mich in meinen dicken Klamotten kaum mehr bewegen und beim Rauchen auf dem Balkon frieren die Nasenhaare fest (was ein wirklich schräges Gefühl ist). Sogar in unserem Eisfach ist es jetzt wärmer als draussen.

Unsere Autos sind natürlich ebenfalls begeistert. Die ersten Meter zur Arbeit heute morgen haben wir mit eingefrorenem Gaspedal zurück gelegt. Und wenn man das Auto von aussen frei geschaufelt hat und losfährt, friert es in null comma nix von innen überall zu. Blindflug ist angesagt.

Das festgefrorene Meer dampft im Morgenblau, weil das Eis ja nun auch viel wärmer als die Luft ist. Sieht sehr schön aus. Wenn ich angesichts einer solchen Wetterlage aber an Reiseführersprüche denke wie: "Der Finne lebt im Einklang mit der Natur", kann ich nur so sagen: Hier bleibt einem nun auch echt nichts anderes übrig.

Aber wir können noch froh sein, dass wir nicht in Lappland wohnen, in Ruka / Kuusamo zum Beispiel (was ja wohl alle von der Skispringerei kennen). Das ist nämlich ungefähr da, wo auf der Wetterkarte die -35 Grad zu sehen sind. Brrr... Also sind wir froh und demütig, dass es uns nicht so dolle erwischt hat. Und am Wochenende steigen die Temperaturen ja auch schon wieder: auf -15 Grad. Na dann...

2.1.06

Notizen aus dem Bürgerkrieg



Ein vermutlich deutlich zu lang geratener Eintrag zum neuen Jahr

Zugegeben - ich übertreibe etwas. Aber eine Überschrift wie "Wie der Finne knallt" ist nicht nur missverständlich, sondern auch irreführend. Denn natürlich knallt der Finne wie jeder andere auch: Silvester, angetrunken und auf Glatteis, ziemlich laut und manchmal voll auf den Arsch ... naja.

Was mich dieses Jahr vielmehr verwunderte, war die Tatsache, dass in Finnland relativ früh (etwa ab sieben Uhr abends), dafür aber sehr ausdauernd und unter Zuhilfenahme zahlreicher Raketen auch durchaus farbenprächtig geknallt wurde, wobei - wer jemals in Steele-Eiberg, in Hamburg-Wilhelmsdorf oder auf der Kölner Straße in Essen-Frohnhausen einer Knallerei beigewohnt hat, mir dieses Weichspülergetue verzeihen möge - die schiere Lautstärke dieser Knaller durchaus diejenige der letzten Jahre (und erst recht die unter unserem eigenen Mitwirken zustandegekommene Knallereilautstärke) bei weitem übertroffen hat.

Also: der Finne knallt gerne laut und viel und ab sieben Uhr abends eigentlich permanent. Das wollte ich nämlich sagen.

Als jemand, der in seiner Kindheit mit Papa für einen vorher festgelegten Betrag im dörflichen Spielzeugladen Knaller kaufen ging (so meistens für zehn bis fünfzehn Mark - je nach Härte der vorangegangenen Verhandlungen; daraufhin, kaum zuhause, den im Vorjahr geschnorrten väterlichen Bürokoffer mit Schaumstoff und Teppichmesser bewaffnet passgenau für die erworbenen Knaller zu- bzw. hergerichtet hat), habe ich Raketen grundsätzlich ignoriert. Erstens, weil sie immer scheisse teuer waren und man für das gleiche Geld mindestens anderthalb Pakete "D-Böller" kaufen konnte oder zumindest fast zwei "kubische Kanonenschläge" (obwohl auch die nicht alphabetisch klassifizierten, aber relativ kleinen "Ladycracker" für ihre Größe einen erstaunlichen Lärm gemacht haben), und zweitens, weil sie ums Verrecken mit den langen Stielen nicht in den Koffer gepasst haben...

Nie, ich wiederhole: nie! hätte ich mir vorstellen können, dass man zu einer ordentlichen Silvesterknallerei gar eine Schutzbrille käuflich zu erwerben hätte (dass dergleichen in Finnland durchaus möglich, wenn vielleicht auch nicht gang und gäbe sei, hat mein Schatz bei der gründlichen Inaugenscheinnahme eines finnischen Knallerverkaufsstandes herausgefunden) - oder, dass man einen gewissen Sicherheitsabstand zur silvesterlichen Knallerei einzuhalten habe, wie ich mit eigenen Augen in der Silvesternacht zu sehen genötigt war.

WIR haben jedenfalls nach zwölf dem Koffer lediglich eine Handvoll Knaller und eine sorgfältig in Schaumstoff gebettete Zigarre entnommen, sie am ebenfalls dem Koffer entnommenen BIC-Feuerzeug entzündet, um dann die versammelten C- und D-Böller an der Glut zu entzünden und sie wirklich erst im letzten Moment wegzuwerfen, damit sie noch in der Luft explodierten und nicht auf dem zumeist regennassen Asphalt gar ausgingen. Selbstverständlich erst, nachdem wir den Koffer vorher sorgfältig verschlossen hatten (und ich meine, mich verschwommen erinnern zu können, gar das Zahlenschloss von 0-0-7 auf irgendwas anderes eingestellt zu haben, aber es kann sehr wohl sein, dass da mein die wahren Ereignisse verklärender Blick mit mir durchgeht. Sagen wir: ich hätte mir damals auf jeden Fall gewünscht, dass mein Plastikkoffer die Zahlenkombination 0-0-7 hatte!).

Aber: verdammt! Bei einem Volk, das am Juhannustag reihenweise sternhagelvoll ertrinkt (ausser zu Juhannus, zu Vappu und bei der Weihnachtsfeier ist Silvester nun wirklich der einzige Tag, an dem man Alkohol in mehr als rauhen Mengen konsumieren kann, ohne schief angesehen zu werden), darf man doch an Silvester wirklich etwas mehr ... Hingabe erwarten.
Zum Beispiel: riskante Manöver. Die Flasche mit der Rakete drin fällt beim Anzünden um (man musste sie ja schließlich vorher austrinken), rast in den Vorgarten vom Nachbarn Meier (hier: Lappalainen), wo sie stimmungsvoll und farbenprächtig explodiert und dabei die Pergola in Brand setzt. Der Knaller, dessen auf dem nassen Asphalt erloschenene und wahnsinnig kurze Zündschnur doch noch mal in Brand gesetzt wird, rasend schnell herunterbrennt, sodass der Knaller nur noch fallengelassen werden kann und beim Explodieren sowohl die Palomino-Jeans als auch die Kunstlederstiefel wirkungsvoll ruiniert oder die (bei ernsthaft betrunkenen Menschen in meiner kindlichen Fantasie sehr verbreitete Vorstellung einer) Zigarre, die weggeschmissen wird, während der Knaller mit glimmender Zündschnur genüsslich zum Munde geführt wird ... sowas in der Art hätte ich erwartet.
Stattdessen: Sicherheitsabstand. Wirklich sehr gesittet, das ganze. Und nicht einer hat einen Knaller in die staunende und johlende Menschenmenge geworfen. Unvorstellbar!

Immerhin der Geruch und der aufsteigende Pulverqualm war in etwa der gleiche.
Obwohl wir bereits ab sieben Uhr abends optisch und akustisch einem wahrhaft infernalischen Spektakel teilhaftig wurden, wurde doch erst ab Mitternacht die volle Wucht und die olfaktorische Qualität einer echten Silvesterknallerei offenbar, die, ich vermag es selbst nur aus dem Jahre 1995 in Essen-Frohnhausen zu vermelden, der Situation in einem vom Bürgerkrieg geschüttelten Land in Grundzügen zu vergleichen wäre.

Ich vermute heute, dass es sich bei den zu Beginn beschriebenen "Ab-Sieben-Uhr-Frühknallern" (wie wir sie früher abfällig nannten, denn vor neun brauchten WIR damit gar nicht anzufangen, denn dann hat es keinen Spass gemacht, der alten, grätzigen Hausmeisterin die dicken Böller auf den Balkon im dritten Stock zu werfen!) um eine spezielle Form von gelöstem Partyvolk handelte, das, der muffigen Heizungsluft überdrüssig, ein wenig frische Luft schnappen wollte (wobei die Nikotinsüchtel dabei vermutlich am lautesten danach gekräht haben), dabei die (unter Nichterwerb der Schutzbrille) gekauften Böller und Raketen gleichsam ihrer Endbestimmung zuführen wollte, um sich dann genüsslich dem Trunke hinzugeben und um zwölf Uhr schliesslich mit den anderen johlenden Menschen herumzustehen, andächtig in den Himmel zu schauen, die explodierenden Raketen mit lautem "Aaaaah" und "Ooooh" über die Schwelle ihrer irdischen Existenz zu geleiten und dem abgelaufenen Jahr das eine oder andere Tränchen nachzuweinen. Oder ein herzliches "Satanaa! Perkele!" hinterherzurufen.

Während wir seinerzeit um kurz nach zwölf die letzten verbliebenen Knaller dem Schaumstoff entnahmen und extra in Gullys warfen, weil sie dann NOCH LAUTER geknallt haben, packt man hierzulande erst nach zwölf vorwiegend irgendwelche pyramidenartigen Dinge aus, die, einmal entzündet, im Abstand von drei Sekunden zwölf bis fünfzehn Mal am Stück mit einer Leuchtspur versehene Dinge gen Himmel schicken, die dort dann mit immensem Getöse bunt explodieren und für jede Menge "Aaaah" und "Ooooh" sorgen.

So war das, damals und in der Silvesternacht 2005/2006, in einem kleinen Ort an der finnischen Südküste.

Ein gnädiger Schneeschauer bedeckte schließlich die Überreste der diesjährigen Silvesterknallerei. Das hat auch wirkungsvoll verhindert, dass irgendwelche zwölfjährigen Arschlöcher am anderen Morgen die nicht explodierten Knaller mit scharfen Taschenmesser ritzen, um das Schwarzpulver herauslösen und in kleine, mit einer Zündschnur präparierte Filmdöschen zu füllen, die dann, ringsum mit Klebeband verklebt, in kleine Schiffs- und Flugzeugmodelle gesteckt werden, wo sie mit lautem Knall explodieren. Morgens um neun, während die Eltern vor lauter "Aaaah" und "Ooooh" noch in Essig liegen.

(Ein Paket Ladycracker haben wir übrigens immer noch übrigbehalten. Und uns dann das ganze Jahr nicht getraut, einen davon anzuzünden, weil dann alle geguckt und die Hausmeisterin die Polizei gerufen hätte.)

Frohes neues Jahr, alle zusammen!