12.7.05

Your lupines, please!

Teil 4. Ohne Foto. Über Mittsommer, Mehrwertsteuer und die Fortbewegung

Dieses Jahr war ein - rein statistisch gesehen - relativ harmloses Mittsommer in Finnland: lediglich vier Ertrunkene, zwei Verkehrstote und zwei Tote durch Feuer. Immerhin aber 600 betrunkene Autofahrer. Im Vergleich zu sechs Ertrunkenen im Jahr 2004 und vieren im Jahr 2003 sind die Zahlen in den letzten Jahren ohnehin eher gering (zum Vergleich: 1995: 19 Ertrunkene (und 500 betrunkene Autofahrer), 1996: 11, 1997: 13).

Kein Zweifel: das als "finnischer Nationalsport an Mittsommer" bezeichnete Phänomen des mit-heruntergelassener-Hose-Ertrinkens ist weitgehend verschwunden. Dafür nimmt das Autofahren unter Alkohol weiter zu und die Finnen werden ihrem Ruf, eine Horde wildgewordener Saufnasen zu sein, auch weiterhin gerecht.

Wildgewordene Saufnasen nehmen häufiger den Bus. Das gebieten Vernunft und Geldbeutel (wir berichteten). Nicht umsonst bekommt das Angebot des öffentlichen Personennahverkehrs in Helsinki seit Jahren durchweg gute Noten. Die Busse fahren am Wochenende eigentlich die ganze Nacht; von 02:30 bis 04:30 wird ein Nachtzuschlag fällig, das ganze ist fest in Händen des Privatanbieters Connex (die gleichen, denen die Bahn in Deutschland das Leben seit Jahren schwer macht, während die Bahn gleichzeitig stöhnt, dass dieser ganze Nahverkehr einfach nicht kostendeckend hinzubekommen sei). Auch die finnische Staatspräsidentin Tarja Halonen fährt gerne mit dem Bus.

Busfahren ist mitunter nervenzerfetzend. Eigenen Beobachtungen zufolge sind finnische Busse die einzigen Objekte im Universum, die sich nahezu mit Lichtgeschwindigkeit bewegen. Auf der Autobahn westlich von Helsinki hat man eigens Busspuren eingerichtet - mit dem Effekt, dass Autofahrer, die die Busspur kreuzen müssen, mit nahezu jeder denkbaren Anfangsgeschwindigkeit auf die Autobahn auffahren. Hauptsache, sie überqueren die Busspur zügig und möglichst im rechten Winkel.
In Bushaltestellen wird ein 30-Tonnen-Bus grundsätzlich mit Schmackes abgebremst - die Tatsache, dass mindestens vier Monate im Jahr eine festgefahrene Schneedecke in Finnland liegt, erhöht den Kick noch zusätzlich. Wildgewordene Saufnasen finden diese relativ plötzliche negative Beschleunigung nicht immer witzig. Immerhin verhindert das wirkungsvoll, dass sie im Bus einschlafen.
Die Vermutung liegt nahe, dass Rennsportgrössen wie Ari Vatanen, Jyrki Järvenlehto und Mika Häkkinen im Zivilleben als Busfahrer gearbeitet haben. Dazu passen auch die älteren Fernsehinterviews mit ihnen. Denn: finnische Busfahrer können prinzipiell auch kein Englisch und fahren, als sei der Teufel hinter ihnen her. Ich sehe da gewisse Parallelen.

Was ich auch nicht wusste: wenn man bei Amazon in Deutschland was bestellt, aber in Finnland wohnt, wird automatisch der finnische Mehrwertsteuersatz von 8% (für Bücher) bzw. 22% (für alles andere) berechnet. Angesichts der Diskussion, die sich gerade in Deutschland abtut (erhöhen: sowieso! Aber hat jemand schon 'ne Idee, was man mit der ganzen Knete machen soll?), kann man ab sofort wieder rufen: "Geh' doch nach drüben!" Das bekommen dann nämlich diejenigen zu hören, die sagen: "Klar soll der Mehrwertsteuersatz erhöht werden!". Für Luxemburg (15%), Spanien (16%) und die Schweiz (7.6%) trifft das zwar nicht zu, aber Polen (22%), Österreich (20%) oder Litauen (18%) wären schöne Kandidaten für's Nach-drüben-gehen.

Nach Polen, Österreich oder Litauen kann man ja auch mit dem Bus fahren. In Finnland kann man sich gar aussuchen, ob man von Helsinki nach Turku lieber mit dem Bus oder mit der Bahn fährt. Wenn man (wie der Finne ja bekanntlich gerne und lange) mit seinem Mobiltelefon telefonieren möchte, ist der Bus eine bessere Alternative. Es gibt auf der Bahnstrecke von Helsinki nach Turku nämlich zahlreiche Tunnel, die die Mobilfunkverbindungen regelmässig unterbrechen (wer schon mal mit der Bahn das Rheintal bis Mainz runtergefahren ist und dabei mit D1 telefonieren wollte, wird das kennen). Durch den einzigen Autobahntunnel auf der Strecke hingegen rauscht man mit hundert Sachen durch und noch bevor sich das Gegenüber beschweren kann, dass die Verbindung schlechter wird, ist man durch und redet wieder verständlicher.

Sowieso ist es in Finnland normal, beim Sich-Fortbewegen zu telefonieren. Natürlich ist es auch hierzulande verboten, im Auto ohne Freisprechanlage zu telefonieren. Aber wer einmal beim Aufheben seiner heruntergefallenen Freisprecheinrichtung auf der Autobahn fast einen schlingernden Bus gerammt hat, weil dessen Fahrer gleichzeitig den letzten Fahrgast abkassierte, mit seiner Freundin telefonierte und sich Notizen machte, neigt dazu, solche Verbote nicht allzu ernst zu nehmen.

Die einzige Gelegenheit, wo der Finne garantiert nicht telefoniert, ist beim Tanzen. Zwar sieht das Gesicht von männlichen finnischen Tänzern nicht gerade vergnügt aus (im Gegenteil. Eher ausdruckslos bis angestrengt), aber offensichtlich tanzt der Finne gern. Möglicherweise sind es auch die finnischen Frauen, die gerne tanzen. Wie auch immer: Finnen telefonieren dabei nicht. Liegt vielleicht daran, dass Tanzen in Finnland keine anerkannte Art der Fortbewegung ist.

Und Ende. Sommerferien jetzt! Sauregurkenzeit sowieso (oder will ernsthaft jemand wissen, dass immerhin 75 Prozent der finnischen Zwölfjährigen schwimmen können, nur 47 Prozent der Finnen ein generelles Rauchverbot in Kneipen und Restaurants befürworten oder dass es in Finnland letztes Jahr insgesamt 13.000 Neuinfektionen mit Chlamydien gegeben hat? Na? Eben!), Wahlkampf in Deutschland auch. Bald wieder: Blaualgen in Finnland, die Ertrunkenenbilanz des Juli (2003: 53) und das Neueste aus den Supermärkten. Bis dahin einen schönen Sommer. Vielleicht bekommt man ja auch den einen oder anderen Urlaubsbericht zu lesen.