2.6.05

Quo vadis, Europa ?

Der König ist tot. Es lebe der König.

Frankreich hat "Non" gesagt, die Niederländer "Nee". Tony Blair erwägt nun, das geplante Referendum in Grossbritannien doch lieber abzusagen, während in Frankreich am Montag noch öffentlich gemutmasst wurde, wann man denn wohl das Referendum wiederholen könnte, um vielleicht doch noch zum gewünschten Ergebnis zu kommen. Modernes Selbstverständnis von Demokratie: man lässt einfach so oft wählen, bis einem das Ergebnis passt.

Als Fazit lässt sich immerhin ziehen: der gegenwärtige EU-Verfassungstext ist nicht mehr ratifizierbar. Aus und vorbei! Die Niederländer hätten gestern schon nicht mehr abstimmen müssen, das lettische Parlament hätte sich die Abstimmung heute morgen schenken können, Luxemburg (das sind die nächsten) kann weiter getrost Geld zählen (dem Vernehmen nach würde der Text dort ratifiziert werden).
Hergehorcht, alle anderen EU-Länderregierungen und Parlamente: Bitte nicht mehr billigen, ratifizieren, volksabstimmen lassen. Stattdessen: bitte wieder hinlegen und dabei 'ne Menge Kohle wg. Defizitkriterium sparen.
Hat sich erledigt. Wir entschuldigen uns für die Strapazen. Danke.

Aber wir dürfen uns trösten: die europäischen Gründungsverträge bleiben uns schliesslich erhalten. So z.B. der EWG-Vertrag und der Euratom-Vertrag (beide 1957 in Rom unterzeichnet). Und der EU-Vertrag (Maastricht 1992). Genauso wie der Fusionsvertrag (Brüssel 1965), die Einheitliche Europäische Akte (Luxemburg/Den Haag) und die Verträge von Amsterdam (1997) und Nizza (1999), die auch für bekennende Euroskeptiker und Protestwähler verbindlich sind. Zusammen mit dem Beitrittsvertrag für die zehn neuen EU-Länder (2003). Lediglich der Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, der 1951 in Paris unterzeichnet wurde, ist im Jahr 2002 ausgelaufen und durch den Vertrag von Amsterdam ersetzt worden.

Zwei Links zum Thema "Europa und EU-Verfassung" noch zum Schluss:
Wer immer schon mal wissen wollte, was man in einem Europäischen Ausschuss so treibt (z.B. im Wirtschafts- und Sozialausschuss), möge bitte dieses Dokument lesen. Noch interssanter als das Dokument sind allerdings die abgelehnten Änderungsanträge, die am Fusse des Dokuments aufgeführt werden. Man erkennt sogar ein bisschen die Handschrift von Frau Engelen-Kefer, die eingangs gar als "Mitberichterstatterin" aufgeführt ist (cf. Ziffer 1.3 bei den Ablehnungen).
MDB und Bayer. Staatsminister a.D., Dr. Peter Gauweiler, hat am 25. April 2005 "Organklage, Verfassungsbeschwerde, Antrag auf andere Abhilfe und Antrag auf einstweilige Anordnung" zur EU-Verfassung eingereicht (hier). Die 288seitige Antrags- und Begründungsschrift lässt wirklich keine Wünsche offen und liest sich wie ein Handbuch zum Thema "Ich bin aus zwei Gründen gegen diese bescheuerte EU-Verfassung. Zum einen, weil sie grundgesetzwidrig ist und zum anderen, weil ein Haufen unausgegorener Quatsch drinsteht". Mit dem Quatsch hat er vielleicht sogar Recht.
Dem BVerfG war's egal. Sonst wäre die Bundestagsabstimmung darüber per einstweiliger Anordnung nämlich rechtzeitig verboten worden und Raffarin wäre vielleicht immer noch französischer Premierminister (dann hätte nämlich Chirac seine selbstherrliche Volksabstimmungsfarce noch abblasen können, ohne dazustehen wie ein Trottel).

Interessant aber die Begründung des Gerichts. Vor der Beratung im Parlament hat nämlich gar keine Willensbildung im Parlament stattgefunden und der Herr MDB kann sich gar nicht entscheiden, ob er dafür oder dagegen ist. Ausserdem ist er nicht befugt:
"Der Antragsteller ist nicht antragsbefugt. [...] Mit der zweiten und dritten Beratung erfüllt der Deutsche Bundestag die im parlamentarischen Binnenrecht vorgesehenen Voraussetzungen eines ordnungsgemäßen Gesetzgebungsverfahrens. Zugleich ermöglicht er die von der Verfassung formulierte Erwartung, dass sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages in der öffentlichen Beratung eine Meinung über den Gesetzesentwurf bilden können. Erst die freie Debatte im Deutschen Bundestag verbindet das Gesetzgebungsverfahren mit einer substantiellen Willensbildung, die es dem Abgeordneten ermöglicht, die Verantwortung für seine Entscheidung zu übernehmen." (aus der Pressemitteilung des BVerfG Nr. 35/2005 vom 28. April 2005, (hier).

Der Modeklopper diesen Sommer übrigens: T-Shirt mit "Darf das Kanzler werden?" drauf. Gibt's hier. Schickt mir jemand eins nach Finnland, bitte? Danke.